Dezember 2022
Wasser ist ein Menschenrecht!
Am 28. Juli 2010 erkannten die Vereinten Nationen das Menschenrecht auf Wasser an. Dieses Menschenrecht bleibt jedoch vielen verwehrt. [1] In den ostafrikanischen Ländern herrscht zurzeit eine große Dürreperiode, bereits zum dritten Mal ist die Regenzeit ausgefallen – die Menschen, die Tiere und die Natur warten sehnsüchtig auf Regen. Es sei laut UNICEF die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Dies wirkt sich auch auf die Wasserversorgung in Arusha aus.
Für uns, aufgewachsen in einem Land, in welchem man nur den Wasserhahn aufdrehen muss, um unbegrenzt sauberes Wasser zu bekommen, war es schwer vorstellbar, dass das Grundrecht auf Wasser so vielen Menschen in Tansania verwehrt wird. In Ostafrika verhungern und verdursten aktuell rund 21 Millionen Menschen und zahlreiche Tiere. Durch die Dürre verloren viele Menschen ihre Lebensgrundlagen, ihnen droht der Hungerstot. [2] Es ist ein Kampf ums Überleben! Besonders für kleinbäuerliche Familien und Hirtenfamilien. Ohne Regen keine Ernte, ohne Ernte nicht genügend zu essen. Die Welt Hunger Hilfe geht davon aus, dass viele Hirtenfamilien bereits über 70 Prozent ihres Viehbestands verloren haben. [3]
„Die Lage hier ist wirklich kritisch. Den Menschen fehlt einfach alles. In manchen Gegenden sind fast alle Wasserstellen ausgetrocknet. Die Frauen und Kinder müssen immer längere Wege zurücklegen um Wasser zu holen, teilweise bis zu 15 Kilometer pro Strecke.“ [4] (Gianfranco Rotigliano, Leiter des UNICEF-Büros in Äthiopien). Für Rotigliano von UNICEF ist der weltweite Klimawandel schuld an dieser langanhaltenden Dürre. Zahlreiche Familien mussten aus ihrer Heimat fliehen, Kinder können die Schule nicht mehr besuchen, weil ihre Eltern ihre Existenzgrundlage verloren haben oder die Kinder nun bei der Beschaffung von Trinkwasser helfen müsse.
Während unseres Aufenthaltes in Tansania im Oktober 2022 und November 2022 konnten wir die Auswirkungen der Dürre mit eigenen Augen sehen. So war es ein beschwerlicher und unfassbar mühsamer Weg, bis die Regierung uns den Bau von Pipelines für die Wasserversorgung bewilligten. Innerhalb von wenigen Wochen waren wir insgesamt fünf Mal in verschiedenen Water-Departments der Stadt Arusha und den umliegenden Areas, mussten zahlreiche Anträge einreichen und waren mit zahlreichen behördlichen Reglementierungen konfrontiert. Wir brauchten zudem ein persönliches Schreiben des Gemeindevorstehers der Area, in welcher unser Haus gebaut wird. Dieser befürwortete einen vorzeitigen Bau des Wasseranschlusses aufgrund der hohen Notwendigkeit und der Vulnerabilität der zukünftigen Bewohnerinnen. Während den langen Wartezeiten in den Water-Departments standen wir mit Menschen in den Warteschlangen, die unfassbare Geschichten zu erzählen hatten. Ein älterer Mann erzählte uns, dass er seit 9 Monaten auf fließendes Wasser in seinem Haus wartet. Seine Frau sei bereits gestorben und seine Kinder und Enkelkinder ausgezogen. Die Regierung sage ihm jedes Mal, wenn er komme, sie würden seinen Antrag bearbeiten, doch nichts geschehe. Er würde einmal die Woche hierherkommen, um zu zeigen, dass er nicht aufgebe.
Am Ende unseres Aufenthalts wurde unser Antrag auf den Bau der Pipelines bewilligt. Doch bis jetzt (16.12.2022) haben wir kein fließendes Wasser in unserem neuen Haus und noch kein einziges Rohr wurde von Seiten der Regierung verlegt.
[1] Aktion Deutschland Hilf, Bündnis deutscher Hilfsorganisationen, Historie: Das Menschenrecht auf Wasser, https://www.aktion-deutschland-hilft.de/de/fachthemen/wasser/historie-das-menschenrecht-auf-wasser/
[2] Bulling Sandra, UNICEF, Dürre in Ostafrika: Kreislauf aus Katastrophe und Armut, Blogbeitrag, 11. 2022, https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/-/duerre-ostafrika/273442
[3] Welt Hunger Hilfe, Dürre in Ostafrika, 11. 2022, https://www.welthungerhilfe.de/informieren/themen/klimawandel/duerre-trockene-boeden-fuehren-zu-hunger-und-konflikten/spenden-hunger-afrika-nothilfeduerre-ostafrika
[4] Rotogliano Gianfranco, IN: Bulling Sandra, UNICEF, Dürre in Ostafrika: Kreislauf aus Katastrophe und Armut, Blogbeitrag, 11. 2022, https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/-/duerre-ostafrika/273442
November 2022
ProManity in Arusha
Im Oktober und November 2022 konnten drei unserer Teammitglieder endlich wieder vor Ort in Arusha, Tansania sein.
Für Kim, Jenny und Johanna gab es während ihrer rund dreiwöchigen Reise rund um das Pippi House sehr viel zu tun. Neben dem großen Hausbauprojekt, konnte für die Bewohnerinnen des Frauenhauses ein toller Workshop mit der tansanischen Nonne Sister Felista Tangi aus Mwanza organisiert werden. Außerdem besuchten die drei Teammitglieder einige ehemalige Bewohnerinnen des Frauenhauses, die dank des ProManity-Scholarship-Programms mittlerweile in ihren eigenen Wohnungen leben. Der Kalender für den Aufenthalt war voller wichtiger Termine.
Es war toll, in dieser sehr begrenzten Zeit vor Ort so viel geschaffen zu haben und die Ergebnisse unserer harten Arbeit endlich wieder persönlich miterleben zu dürfen.
Auf dem Bild zu sehen die ProManity e.V. Mitglieder Jennifer Darboven, Johanna Hager, Kim Langemak sowie die ProManity International Mitglieder Agnes Masaki und Hashim Tembo mit ihren Kindern Neema, Ibty, Ramin und Peace.
November 2022
Das Großprojekt - Hausbau
Im Jahr 2021 entstand unsere Idee eines Eigenheims für die Frauen und Kinder des Pippi Houses. Ende des Jahres 2021 kauften wir ein Grundstück in Arusha, im Frühjahr 2022 wurde mit den ersten Bauarbeiten begonnen. Da wir in dieser Zeit nicht vor Ort sein konnten, wurden die Prozesse von langjährigen tansanischen Freunden und Teammitgliedern begleitet, welchen wir hundertprozentig vertrauen. Trotzdem mussten wir auf die Einschätzung und die Zusammenarbeit mit Menschen vor Ort vertrauen, mit denen wir lediglich per Telefon und E-Mail kommunizieren konnten. Die Fortschritte unseres Hausbaus konnten wir lediglich durch Bilder, Videos und Berichte verfolgen.
Durch unsere Reise nach Tansania konnten wir nun endlich unser Großprojekt mit eigenen Augen bestaunen und persönlich zahlreiche Prozesse rund um das Projekt beginnen, fortführen und abschließen. Ein Großteil unserer Reise war daher geprägt von Terminen für den Hausbau. Wir besuchten beinahe täglich unsere Baustelle und standen in engem persönlichem Kontakt mit unserem Bauleiter und seinen Mitarbeiter*innen. Wir konnten Bauprozesse gemeinsam besprechen und unsere Wünsche und Vorstellungen rund um den Hausbau praktisch umsetzen. Wir konnten zahlreiche Prozesse in Bewegung bringen – von den Wandfarben, über die Zimmeraufteilung, bis hin zur Gestaltung der Küche.
Außerdem nutzten wir unseren Aufenthalt, um uns persönlich mit unserem tansanischen Anwalt zu treffen. Insbesondere unterstützt dieser uns dabei, die Auflagen der Regierung für soziale Einrichtungen einzuhalten. Uns ist es als legal registrierte NGO (Nicht-Regierungs-Organisation) ein großes Anliegen, die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten und eng mit dem Sozialamt zusammenzuarbeiten. Die Vorschriften reichen von einer gesetzlichen vorgeschriebenen Quadratmeterzahl pro Bewohner*in, bis hin zu dem erforderlichen Fachpersonal für unser Safe House für Frauen und ihre Kinder. Außerdem setzten wir zusammen mit unserem Anwalt einen Kooperationsvertrag zwischen uns (ProManity) und Aristides Nshange (Pippi House – Safe House for Girls) auf. Mit diesem Vertrag wollen wir die Grundlage einer gleichgestellten und zielgerichteten Zusammenarbeit mit Aristides Nshange, ganz im Sinne unserer Bemühungen einer antirassistischen Entwicklungszusammenarbeit, schaffen.
Am 06.11.2022 besuchten wir mit allen Frauen und Kindern des Frauenhauses die Baustelle und somit ihr zukünftiges Zuhause. Niemand von ihnen hatte das Haus zuvor persönlich gesehen. Die unfassbare Freude der Frauen und Kindern, als sie das Haus zum ersten Mal betraten, ist nicht in Worte zu fassen. Alle begannen zu singen, zu schreien, zu tanzen, zu weinen. Es war ein atemberaubendes Gefühl. Die Frauen und Kinder konnten kaum fassen, dass sie in wenigen Wochen in dieses Haus ziehen werden. Besonders ergriffen waren sie, als sie hörten, dass jeder von ihnen ein eigenes Bett bekäme, die Küche mit einem Gasherd ausgestattet werden würde und es zehn funktionierende Toiletten und Duschen geben wird.
Neben diesen positiven Erlebnissen und dem rasanten Baufortschritt, waren wir ebenfalls mit Gegebenheiten und Lebensumständen konfrontiert, die uns zuvor nicht so bewusst waren. So war es ein beschwerlicher und unfassbar mühsamer Weg, bis die Regierung uns den Bau von Pipelines für die Wasserversorgung bewilligten. Innerhalb von zwei Wochen waren wir insgesamt fünf Mal in verschiedenen Water Departments der Stadt Arusha und den umliegenden Areas, mussten zahlreiche Anträge einreichen und waren mit zahlreichen behördlichen Reglementierungen konfrontiert. Wir brauchten zudem ein persönliches Schreiben des Gemeindevorstehers der Area, in welcher unser Haus gebaut wird. Dieser befürwortete einen vorzeitigen Bau des Wasseranschlusses aufgrund der hohen Notwendigkeit und der Vulnerabilität der zukünftigen Bewohnerinnen.
In den ostafrikanischen Ländern herrscht zurzeit eine große Dürreperiode – die Menschen, die Tiere und die Natur warten sehnsüchtig auf Regen. Dies wirkt sich auch auf die Wasserversorgung aus. Für uns, aufgewachsen in einem Land, in welchem man nur den Wasserhahn aufdrehen muss, um unbegrenzt sauberes Wasser zu bekommen, war es schwer vorstellbar, dass das Grundrecht auf Wasser so vielen Menschen in Tansania verwehrt wird. Umso glücklicher sind wir, dass unsere Bemühungen erfolgreich waren und wir die Bewilligung für den Bau von Waterpipelines zu unserem Grundstück erhalten haben. Die Frauen und Kinder aus dem Pippi House werden demnach zukünftig das Privileg von fließendem Wasser in unserem Haus erleben dürfen.
Am Ende unseres Aufenthaltes verabschiedeten wir uns von einem fast fertig gebauten Neubau, dem neuen Safe House für die Frauen und Kinder des Pippi House. Am letzten Tag wurden bereits die Türen eingebaut und die Wände gestrichen. Die Frauen und Kinder werden bereits in wenigen Wochen in ihr neues, sicheres, sauberes und menschenwürdiges Zuhause ziehen. Wir sind froh, unser Großprojekt persönlich vor Ort gesehen und vorangebracht zu haben.
November 2022
Ein Workshop mit Sister Felista Tangi
Die 1964 geborene Pädagogin Dr. Sister Felista Tangi promovierte zum Thema der Auswirkungen von Schulgewalt auf die Leistungs- und Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler. Als Reaktion auf die erschreckend hohen Raten an Schüler:innen, die Körperstrafen sowie Gewalt im Schulkontext durch Lehrkräfte und Mitschüler:innen ausgesetzt sind, gründete sie zusammen mit Mitschwestern vom Orden der Teresina Sisters eine gewaltfreie und inklusiv arbeitende Secondary School in Nyashishi, in der Provinz Mwanza in Tansania.
Wir lernten Sister Felista und ihre wertvolle Arbeit gegen Gewalt und Unterdrückung von tansanischen Frauen und Kindern im Jahr 2021 kennen. Sister Felista ist, neben Pastor Aristides Nshange, die Preisträgerin des Shalom Menschenrechtspreis für Gerechtigkeit und Frieden 2021. Noch vor unserer Reise stellten wir den Kontakt zwischen den beiden Preisträger*innen her. Beide leisten wertvolle Arbeit zur Bekämpfung von Unterdrückung, Exklusion und Gewalt von Minderheiten in Tansania. Aristides Nshange und Felista Tangi standen von nun an im engen Austausch miteinander.
Am 05.11. und 06.11.2022 war es uns möglich, einen zweitägigen Workshop zum Thema Frauen-Empowerment und Bekämpfung von Gewalt im Pippi House zu organisieren. Hierfür reiste Sister Felista Tangi mit ihrem Team, bestehend aus ihrer Schwesterschülerin Sister Avenner Magovanno und dem Lehrer ihrer gewaltfreien Schule, Anacleth Mpunami, von der zwölf Busstunden entfernten Stadt Mwanza an.
Der erste Seminartag wurde genutzt, um die Mädchen und jungen Frauen in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken. So wurden unter anderem Themen wie Women life skills (Lebenskompetenzen von Frauen), Leadership skills (Führungsqualitäten) und Behavior modification skills (Fähigkeiten zur Verhaltensänderungen) behandelt. Die Mädchen und Frauen setzten sich am ersten Seminartag mit ihren eigenen Stärken, Wünschen und Visionen auseinander. Mit Theatereinheiten, Lockerungsübungen, Gesang und intensiven Gruppenarbeiten gelang es Felista und ihrem Team die Workshop-Teilnehmerinnen für die Themen zu gewinnen und eine Basis des Vertrauens und des Lernens zu schaffen. Der zweite Seminartag ging in die Tiefe. Den Frauen und Mädchen wurden die drei Formen der Gewalt (psychische, physische und sexualisierte Gewalt) nähergebracht. Neben dem theoretischen Input zum Thema Gewalt, wurden Räume für die Frauen geschaffen, sich über ihre traumatischen Erlebnisse auszutauschen und die Frauen lernten Alternativen zur physischen und psychischen Gewalt in der Erziehung und in Schulen kennen. Außerdem wurden praktische Einheiten zu den Themen „Mein Körper – Meine Entscheidung“ und „NEIN heißt NEIN“ in den Seminartag eingebunden. Die Vergangenheit der Frauen und Mädchen im Pippi House war geprägt von zahlreichen Erlebnissen von Gewalt und Unterdrückung. Sich nun mit sich und seiner von Gewalt geprägten, oft höchst traumatischen Vergangenheit auseinanderzusetzen, ist keineswegs leicht. Sister Felista und ihr Team schafften es auf höchst sensible und wertschätzende Art, den Frauen den Raum für einen sicheren Austausch und die Motivation zur Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit zu bieten.
Sister Felista hat ein großes Interesse daran, die Frauen und Mädchen im Pippi House weiterhin auf ihrem Weg in ein selbstständiges und gewaltfreies Leben zu begleiten. Wir hoffen sehr, dass wir auch in Zukunft von Sister Felista und ihrer wertvollen und revolutionären Arbeit profitieren können.
November 2022
Der Weg in ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben
Während unserer jahrelangen Zusammenarbeit mit dem Frauenhaus bemerkten wir, dass unsere Unterstützungsform Strukturen der Abhängigkeit teilweise förderte und somit den Frauen den Sprung in die Unabhängigkeit erschwerte. Durch unsere finanzielle Unterstützung sichern wir eine regelmäßige warme Mahlzeit, ein trockenes Bett, eine gesicherte Schulbildung und eine medizinische Versorgung. Die Motivation für die Frauen, das Pippi House zu verlassen und selbstständig für sich zu sorgen, kann durch diese zuverlässige Grundsicherung gesenkt werden.
Wir nahmen uns zum Ziel, eine Unterstützungsform zu schaffen, welche den Frauen ein Lernfeld für ein selbstständiges Leben schaffen sollte. Wir wollten zielgerichteter und nachhaltiger mit dem Pippi House zusammenarbeiten. Und so entwickelten wir ein Konzept, welches im Februar 2021 als Pilotprojekt in die Praxis umgesetzt wurde. Unser Scholarship Programm ist ein Projekt, welches als Zwischenschritt zwischen dem Pippi House und einem selbstständigen Leben gesehen werden soll. Seit Anfang 2021 bieten wir halbjährlich je drei Frauen die Teilnahme an diesem Programm an.
Wir nutzten die Zeit unserer Reise, um die (ehemaligen) Teilnehmer*innen unseres Projektes in ihrem neuen Lebensumfeld zu besuchen.
Die Frauen zeigten uns stolz ihre eigenen vier Wände, erzählten uns von ihren Jobs und zeigten uns ihr Lebensumfeld. Es war toll zu sehen, wie unsere Unterstützung den Frauen erfolgreich in ein eigenständiges und unabhängiges Leben verhelfen kann. Wir wurden von allen Frauen herzlichst in ihren Wohnungen empfangen und köstlich umsorgt. Es tat sehr gut, die “Früchte unserer Arbeit” persönlich ansehen zu können. Jedoch wurden wir auch mit der Tatsache konfrontiert, dass Hilfe nicht immer erfolgreich ist. So wurden zwei Frauen relativ zeitnah nach ihrem Auszug aus dem Pippi House (wieder) schwanger und/oder verloren ihre Arbeit. Neben Erfolgsgeschichten, wurden wir somit auch mit Lebensgeschichten konfrontiert, die Überforderung mit Selbstständigkeit, Vernachlässigung und größte Verzweiflung widerspiegelten. Es war nicht leicht mit anzusehen, die Frauen in diesen Umständen zu sehen. Doch können wir lediglich Hilfe zur Selbsthilfe bieten und müssen uns bewusst werden, dass unsere Unterstützung nicht immer angenommen und genutzt wird/werden kann.
Juli 2022
Gedanken zu Antirassismus und Kritischem Weißsein
Wir alle, die wir diesen Verein gegründet haben und nun führen, haben für ein paar Monate in Arusha, Tansania gelebt und uns dort in der ungewohnten Situation wiedergefunden, zur Weißen* Minderheit zu zählen. Uns wurde dort unser Privileg des Weißseins, unserer Hautfarbe, (zum ersten Mal) bewusst, die heute leider nicht nur ein biologisches Merkmal darstellt. Zu oft ertappten wir uns bei Auffassungen und Gedanken voller Vorurteile, wie auch bei der Aussage, „dass das in Tansania halt anders laufe“.
Kurzum, auch wir sind rassistisch. Nicht, weil wir es sein wollen oder es mit Absicht tun, aber als in Deutschland aufgewachsene Weiße Menschen haben wir rassistische Denkmuster verinnerlicht und daher ist auch die Arbeit des Vereins nicht frei davon. Das wollen und dürfen wir jedoch nicht verdrängen, sondern müssen diese Tatsache offen angehen und uns immer wieder kritisch hinterfragen. Natürlich ist die Zeit des Imperialismus vorbei und Tansania ist seit 1961 formal unabhängig. Gerade im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit, in dem wir uns als Verein bewegen, ist das Erbe des Kolonialismus allerdings nicht zu übersehen. Denn: Inwiefern haben sich die Strukturen von damals tatsächlich aufgelöst? Kann Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe stattfinden? Wie können wir dazu beitragen? Dieser Text ist ein Versuch, die Gedanken zu reflektieren, die uns mit Blick auf unsere eigene Rolle im Spannungsfeld der Entwicklungszusammenarbeit und der kolonialen Verantwortung bzw. Abhängigkeit bei unserer Arbeit als Verein immer wieder begleiten.
Laut unserer Satzung widmen wir uns dem Zweck der „Entwicklungszusammenarbeit“. Dieser Begriff spiegelt schon eine klare Hierarchie wider, die auf einem alten, überholten Narrativ basiert: „Wir aus dem globalen Norden helfen denen aus dem globalen Süden sich zu entwickeln.“ Um die Problematik dieses Satzes zu beleuchten, muss hier der Kolonialismus und die heute vorherrschende Ideologie in Verbindung gesetzt werden.
Die Phase des Kolonialismus lässt sich grob auf den Zeitraum von Ende des 15. bis Mitte des 20. Jahrhunderts eingrenzen. Der Glaube der Kolonialherren war damals, dass sie auf ihren Entdeckungsfahrten unbewohntes Land, sogenannte „Terra nullius“ vorfanden. Die bereits dort lebenden Menschen wurden durch verschiedene Theorien abgewertet, als „nicht menschlich“, „wild“ oder „unzivilisiert“ beschrieben und schließlich wurde mit einer „Rassentheorie“ versucht, die Eroberer als die „besseren Menschen“ darzustellen und damit ihre Vormachtstellung über die Menschen in den Kolonien zu legitimieren. Auch das Deutsche Reich beteiligte sich ab Ende des 19. Jahrhunderts am Imperialismus und so war es vor dem ersten Weltkrieg die drittgrößte Kolonialmacht. Deutsch-Ostafrika, zu dem auch das heutige Tansania zählte, gehörte zu seinem Territorium. Durch die Eroberung, Kontrolle und ökonomische Ausbeutung wurden koloniale Machtverhältnisse geschaffen, die bis heute fortbestehen. Dass zuvor existierende Strukturen im Zuge dessen zerstört wurden, vergessen wir bis heute viel zu oft. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Kolonialismus unter dem Deckmantel der Entwicklungshilfe weitergeführt. Was vorher die „Zivilisierung der Unzivilisierten“ war, wurde zur „Entwicklung der Unterentwickelten“. Was blieb, war das Überlegenheitsgefühl und die Mission, etwas (nach den westlichen Vorstellungen) zu verändern. Lediglich die Fähigkeit zur Selbstregierung wurde den nicht-europäischen Völkern nun zugestanden.
Heute sprechen wir zwar nicht mehr von Entwicklungshilfe, sondern Entwicklungszusammenarbeit, und doch geschieht diese immer noch viel zu häufig aus einer autoritären Position, in der sich eine Gruppe durch ihr vermeintlich überlegenes Wissen legitimiert, Maßnahmen zur vermeintlichen Verbesserung der Gesellschaft zu konzipieren, der sie selbst nicht angehören.
Was bedeutet das nun für unsere Arbeit als deutscher, als Weißer Verein?
Wir versuchen anzuerkennen, dass wir von Rassismus und den kolonialen Strukturen profitiert haben und auch heute immer noch profitieren, auf Kosten von anderen Menschen. Wir versuchen unsere (Weiße) Perspektive immer wieder zu hinterfragen und uns zu erinnern, dass sich Tansanier*innen in den meisten Fällen besser mit den Gegebenheiten vor Ort auskennen. Wir versuchen Machtverhältnisse aufzudecken und Hierarchien abzubauen. Wir wollen tansanische Wissenssysteme als solche verstehen und sie nicht aus unserer Perspektive als traditionell und primitiv abwerten. Wir reflektieren gemeinsam, um nicht von einzelnen Erfahrungen auf ganz Tansania oder gar Afrika zu schließen. Wir versuchen uns unseres Überlegenheitsgefühls bewusst zu werden und nicht das Eigene als Maßstab für das Andere/Fremde zu verwenden.
Trotz alledem sind wir uns auch bewusst, dass wir alleine durch unsere Unterstützung des Pippi Houses Abhängigkeit und dadurch ebenfalls Machtverhältnisse schaffen. Das ist unvermeidbar, wenn einer annimmt und die andere gibt.
Nach diesen Zeilen fragt Ihr Euch vielleicht, warum wir uns überhaupt fürs Pippi House engagieren, was das eigentlich für einen Sinn hat. Wir finden, Aufgeben ist eben auch keine Lösung. Das Erbe des Kolonialismus und rassistische Strukturen in der Welt werden uns alle nicht so schnell loslassen, aber diese Verantwortung wahrzunehmen und einen kleinen Beitrag zur Umverteilung von Reichtum beizutragen, finden wir auf jeden Fall besser als gar nichts zu tun. Außerdem versuchen wir uns als Geldgeberinnen im Hintergrund zu halten und nicht jede Entscheidung unserer Partner*innen vor Ort in Frage zu stellen, nur weil wir Dinge in Deutschland vielleicht anders handhaben würden. So können wir im besten Fall die großartige und empowernde Arbeit, die im Pippi House geleistet wird, von hier aus finanzieren, ohne unsere europäischen Ansätze aufzudrängen.
Wir würden uns über Feedback zu diesem Text freuen! Schreibt uns gerne an info@promanity.de
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* Sowohl „Schwarz“ als auch „Weiß“ sind in diesem Kontext großgeschrieben, „um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reelle ‘Eigenschaft‘, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Kontext nicht, einer tatsächlichen oder angenommenen ‚ethnischen Gruppe‘ zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der gemeinsamen Rassismuserfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden.“
Quellen
- Jamie Schearer, Hadija Haruna, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), Über Schwarze Menschen in Deutschland berichten, Blogbeitrag, 2013, http://isdonline.de/uber-schwarze-menschen-indeutschland-berichten
- Arndt, Susan (2011): Sprache, Kolonialismus und rassistische Wissensformationen. In: Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagwerk. Münster: Unrast, S. 121–125.
- Castro Verela, María do Mar; Dhawan, Nikita (2005): Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. Bielefeld: Transcript.
- Castro Verela, María do Mar; Dhawan, Nikita (2015): Postkoloniale Theorie. Eine kritische Theorie. 2. überarb. u. erw. Aufl. Bielefeld: Transcript.
- Eggers, Maureen Maisha; Kiloomba, Grada; Piesche, Peggy; Arndt, Susan (Hg.) (2009): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. 2. überarb. Aufl. Münster: Unrast.
- Mecheril, Paul; Melter, Claus (2011): Rassismustheorie und -forschung in Deutschland. Kontur eines wissenschaftlichen Feldes. In: Paul Mecheril und Claus Melter (Hg.): Rassismuskritik. Band 1: Rassismustheorie und -forschung. Schwalbach/Ts: Wochenschau-Verl., S. 13–22.
- Rommelspacher, Birgit (2009): Was ist eigentlich Rassismus? In: Paul Mecheril und Claus Melter (Hg.): Rassismustheorie und -forschung. Schwalbach/Ts: Wochenschau-Verl., S. 25–38.